Was versteht man unter künstlicher Intelligenz und wie wird diese das HR in den kommenden Jahren verändern?
Sie ist in aller Munde, die künstliche Intelligenz. Und jeder versteht etwas anderes darunter. Was im Grunde egal ist, da das menschliche Gehirn definitiv nicht in der Lage ist, die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz in seiner Gänze zu erfassen. Somit hat auch jeder Recht hat mit seiner persönlichen Interpretation der künstlichen Intelligenz, oft KI oder AI für Artificiel Intelligence abgekürzt. Vermutlich ist es einfacher zu definieren, was künstliche Intelligenz eben nicht ist oder nicht sein kann, als aufzulisten, was alles unter dem Begriff KI subsummiert wird.
Aus einer sehr hohen Flughöhe heraus betrachtet, geht es darum, eine Intelligenz zu schaffen, die der des Menschen gleicht oder nahekommt. Aber bereits der Begriff Intelligenz ist per se nicht klar definiert, daher kann es die künstliche Intelligenz auch nicht sein. Eines haben aber alle Anwendungen oder sagen wir die meisten gemeinsam – die Fähigkeit zu lernen. Oft wird von Deep Learning oder von Machine Learning gesprochen. Damit ist gemeint, dass Erkenntnisse der Gehirnforschung verwendet werden, um künstliche, neuronale Netze zu simulieren. Dieser Ansatz ist im Grunde gar nicht neu und wurde bereits in den 80er Jahren verfolgt. Aber die sehr eingeschränkte Leistung und Geschwindigkeit der damaligen Computer machten es unmöglich, brauchbare Resultate zu erzielen. Heute ist Rechenkapazität quasi unbegrenzt verfügbar und die Algorithmen kommen zum Fliegen. Selbstlernende Algorithmen werden nicht mehr von A bis Z ausprogrammiert, sondern sie lernen quasi aus der Praxis, wie auch Kinder etwas lernen. Das kommt der Funktionsweise unseres Gehirns schon sehr nahe.
Datenmengen zu gross für menschliches Gehirn
Schon in den 50er Jahren hat der Mathematikprofessor John McCarthy künstliche Intelligenz als «das Erschaffen einer Maschine, die sich so verhält, dass man dies intelligent nennen würde, wenn ein Mensch sich so verhielte» definiert. Der Wissenschaftler Jerry Kaplan fasst künstliche Intelligenz oder generell Intelligenz als die Fähigkeit, zügig probate Verallgemeinerungen auf Basis begrenzter Daten zu treffen, zusammen.
Konkrete Beispiele von Anwendungsszenarien künstlicher Intelligenz findet man heute in allen Lebensbereichen: selbstfahrende Autos, Diagnose und Therapie von Krankheiten, Sprach- und Bilderkennung und vieles mehr. Da die Systeme in der Lage sind, unfassbar grosse Datenmengen nahezu in Echtzeit zu verarbeiten, können Muster und Zusammenhänge erkannt werden. Wie es beispielsweise kein Arzt jemals könnte, selbst wenn er seit Jahrzehnten als Experte in seinem Bereich bekannt ist.
Viele von uns haben vielleicht schon öfter mal mit einem Computer kommuniziert ohne es zu merken. Chatbots von Dienstleistern aller Art, mit denen wir uns unterhalten, um ein technisches Problem oder eine Unklarheit bei einer Rechnung zu besprechen. Diese sind so clever, dass wir oft nicht sofort erkennen können, ob wir es mit einem Menschen oder einer Maschine zu tun haben.
Künstliche Intelligenz auch im HR?
Die künstliche Intelligenz zieht im HR ein und führt nicht nur zu Veränderungen bestimmter HR-Prozesse, sondern verlangt teilweise auch ein ganz neues Skill-Set der HR-Mitarbeitenden. In der ersten Reihe der von künstlicher Intelligenz tangierten Prozesse befindet sich das Recruiting und zwar auf verschiedenen Ebenen.
Beginnend mit dem Sourcing von möglichen Kandidaten kann KI helfen, diese aufzuspüren, sie aktiv anzusprechen und das Interesse zu sondieren. All dies, bevor der menschliche Recruiter überhaupt ins Spiel kommt. Im Anschluss daran übernimmt ein intelligenter Chatbot einen grossen Teil der Kommunikation mit den Kandidaten und vereinbart sogar Termine. Weiter geht es mit der Kandidatenbewertung und dem Vergleich von Kandidaten. Künstliche Intelligenz kann in Echtzeit unzählige Informationen über die Kandidaten sammeln, vergleichen, verdichten, Muster erkennen und Schlussfolgerungen ziehen. Vielleicht stellt der Algorithmus fest, dass Kandidaten mit bestimmten Merkmalen bisher nie länger als zwei Jahre in einem Unternehmen geblieben sind?
Mit derartigen Werkzeugen spart das HR nicht nur massiv Zeit, sondern trifft auch qualitativ bessere Entscheidungen. Weil kein Mensch in vernünftiger Zeit so viele Daten sammeln und auswerten kann wie der Computer. Gleichzeitig werden menschliche Vorurteile reduziert. Das Thema «Beyond Bias» bekommt im HR eine immer stärkere Bedeutung. Denn insbesondere im Recruiting werden wir Menschen von Vorurteilen oder Stereotypen beeinflusst, ohne dass wir das überhaupt merken. Ein echter menschlicher «Bug», der unter den schlauen Algorithmen nicht zu finden ist. So kann beispielsweise ein Stelleninserat automatisch auf Begrifflichkeiten geprüft werden, die primär nur Frauen oder nur Männer ansprechen und dem Anwender alternative Formulierungsvorschläge anbieten. In bestimmten Berufsbildern, wie bei Aushilfen oder Saisonniers, können wir davon ausgehen, dass in nicht allzu ferner Zeit auch der Computer die Entscheidung über Zusage oder Absage treffen wird und nicht mehr der Mensch.
Der virtuelle Freund und Helfer
Verlassen wir das Recruiting und blicken in die HR-Administration: in die Kommunikation zwischen Mitarbeitenden und dem HR, in die Bearbeitung von Anfragen und Anträgen. Es liegt auf der Hand, dass auch hier intelligente Chatbots auf dem Vormarsch sind. Die HR-Abteilungen werden also virtuell aufgestockt – Welcome Kollege Computer!
Künstliche Intelligenz macht auch vor der Personalentwicklung nicht halt. Der in der Vergangenheit stark durchgeplante Prozess des Lernens bekommt dank künstlicher Intelligenz eine ganz neue Dynamik. Anstatt einen Kurs zu besuchen, um zu erfahren, wie eine neue Produktionsmaschine funktioniert, schnappt sich der Mitarbeitende eine Augmented Reality-Brille und lässt sich durch die Arbeit an der neuen Maschine führen. Aber es geht noch viel weiter. Stellen wir uns vor, wir sind dabei eine Aufgabe zu erledigen und ohne danach zu suchen, wird uns eine App oder ein e-Learning vorgeschlagen. Weil ein Programm festgestellt hat, dass wir offenbar ein paar Wissenslücken haben, die uns hindern, unsere Aufgabe optimal auszuführen. Also kleine virtuelle Helfer, die für uns mitdenken und uns den Alltag erleichtern. Oder das Programm stellt fest, dass neue Aufgaben auf uns zukommen werden, auf die wir mit unserem bestehenden Skills Set noch nicht optimal vorbereitet sind. Aufgaben, von denen wir allenfalls noch gar nichts wissen, die sich aber am Datenhorizont bereits abzeichnen.
Last, but not least findet die künstliche Intelligenz auch im Bereich People Analytics ein breites Feld an Anwendungen. Vorbei die Zeit, in der das HR unzählige Reports verwaltet und eine Flut von Ad-hoc-Reports und Excelanalysen durchs HR wabern. Mit Big Data und intelligenten Algorithmen kann kein menschlicher HR-Controller mithalten. Wenn Unternehmen vor einigen Jahren Business-Intelligence-Lösungen eingekauft haben und sich freuten, jetzt endlich Data Mining betreiben zu können, dann waren die daraus abgeleiteten Konklusionen stark abhängig von der Kreativität des Controllers. Denn wer an der falschen Stelle nach Gold sucht, kann so tief graben, wie er will – er findet nichts. Intelligente Algorithmen können überall gleichzeitig graben und bringen Verstecktes ans Tageslicht und das in einem Bruchteil der Zeit.
Konsequenzen
Und welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen technologischen Umbrüchen für die Mitarbeitenden im HR? Mit der Beschaffung intelligenter Software ist es nicht getan. Das HR muss sich in diesem Zusammenhang neue Skills aneignen und komplett neue HR-Rollen werden entstehen. So gibt es bei Airbnb beispielsweise einen Head of Employee Experience, bei anderen Unternehmen wird ein Head of Conversational Design ins Leben gerufen. Angelehnt an das Konzept der Customer Experience geht es hier darum, den Mitarbeitenden mit all seinen Aktivitäten und Aktionen in den Mittelpunkt zu stellen und eine Welt zu schaffen, in der jederzeit alle benötigten oder gewünschten Informationen oder Services vorhanden sind. Und zwar in einem durchgehenden positiven Benutzererlebnis, wobei hier natürlich insbesondere Chatbots und andere intelligente Helfer zum Einsatz gelangen.
Unabhängig davon, wie die neuen Rollen bezeichnet werden, geht es darum, dass das HR Expertise im Bereich künstlicher Intelligenz aufbaut. Dies ist einerseits relevant, um in Zusammenarbeit mit der IT und anderen Unternehmensbereichen die digitale Transformation ganzheitlich anzupacken und um das HR nicht als Silo zu verstehen. Aber nicht nur das, das HR muss die Technologie verstehen, um sie optimal nutzen zu können und um nicht von ihr beherrscht zu werden. Künstliche Intelligenz wird die HR-Abteilung definitiv nicht ersetzen, aber die Abläufe und Tätigkeiten von HR-Mitarbeitenden massiv verändern.
Quo vadis?
Nicht nur im Berufsalltag, sondern auch im Privaten sind wir bewusste oder unbewusste Anwender künstlicher Intelligenz. Sei es in der virtuellen Partnerbörse, die uns den perfekten Partner vorschlägt oder im medizinischen Umfeld, wo Algorithmen zur Berechnung der noch verbleibenden Lebenszeit von Patienten in den Startlöchern stehen.
Auch die Thematik des Human Enhancements macht mehr und mehr von sich sprechen. Kranke Menschen mit Hilfe von Technologie aufrüsten oder auch das sogenannte Mind Uploading, welches durch die Serie Black Mirror Bekanntheit erlangte und an Science-Fiction denken lässt. Auch Gedanken lesende Computersysteme sind bereits Realität und wurden beispielsweise an der Purdue Univerity in Indiana an Probanden erfolgreich getestet.
Aber jede Innovation, jeder wissenschaftliche Durchbruch hat seit Menschgedenken seine Schattenseiten und manchmal auch ein zerstörerisches Potenzial. Mit künstlicher Intelligenz werden zahlreiche menschliche Ängste assoziiert. Den Menschen weit überlegene Roboter, die womöglich sogar über uns bestimmen. Hundertprozentige Transparenz und permanente Überwachung im Sinne von «Big brother is watching you» oder auch die Bildung einer menschlichen Elite, die den Zugang und die finanziellen Mittel besitzen, ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten quasi upzugraden.
Ein Zurück gibt es nicht und vermutlich kann sich unser limitierter menschlicher Verstand gar nicht vorstellen, welche Möglichkeiten sich durch künstliche Intelligenz tatsächlich noch eröffnen werden. In der Welt der technologisch unbegrenzten Möglichkeiten bleibt der Mensch aber immer noch Mensch und es zeichnet sich ab, dass die Suche nach sinnhafter Tätigkeit zunehmen wird. Wir werden die künstliche Welt in eine menschliche Welt zu übersetzen versuchen, mit Herz und Empathie. Und genau das wird auch die Rolle des HR prägen, wenn es darum geht, das Menschliche in Organisationen und Menschen zu wecken und die Nicht-Linearität des menschlichen Denkens zu stärken.
Mya
Der nach aussen sichtbare Teil von Mya ist ein Chatbot, der darauf ausgelegt ist, schriftliche Sprache zu erkennen und mit dem menschlichen Anwender zu interagieren. Das Modul zur Spracherkennung besteht dabei offenbar unter anderem aus einer Deep-Learning-basierten semantischen Satzanalyse, die aus den Antworten des Kandidaten aussagekräftige Informationen extrahiert. Mya kommuniziert aber nicht nur mit Bewerbern, sondern unterstützt auch bei dem telefonischen Kandidatenscreening, der Erstellung aussagefähiger Kandidatenprofile und Shortlists von Kandidaten. www.hiremya.com
Lionstep
Das im Jahr 2016 gegründete schweizerische Unternehmen Lionstep ermöglicht den Zugang zu 300 Millionen anonymisierten Kandidatenprofilen aus der ganzen Welt. Gemäss der Website von Lionstep ist die Suche nach dem richtigen Kandidaten so einfach, wie das Bestellen einer Pizza. Nach Bekanntgabe und Beschreibung des Wunschprofils vergleicht ein hoch performanter Algorithmus dieses mit den Millionen von Talenten und erstellt eine Matchingliste für den Recruiter. Möchte der Recruiter mit einer Person in Kontakt treten, so übernimmt ein realer Lionstep Agent die Kontaktaufnahme und der Recruiter bekommt in kurzer Zeit eine Rückmeldung des möglichen Kandidaten. www.lionstep.com
HR Cosmos
Künstliche Intelligenz im HR macht aber nicht an den Firmengrenzen halt. So wirkt der von HR Campus und Starmind lancierte HR Cosmos über Unternehmensgrenzen hinweg. Dank selbstlernender Algorithmen basierend auf den Prinzipien der Hirn- und neuronalen Netzwerkforschung, werden HR-Mitarbeitende über Firmengrenzen vernetzt und eine HR-Fragestellung automatisch an die fachkundigste Person im Netzwerk weitergeleitet. www.hr-cosmos.ch
SAP Copilot
Auch SAP wartet mit einem intelligenten digitalen Assistenten auf. Der SAP CoPilot soll vergleichbar zu Siri oder Alexa sprachgesteuert funktionieren und Anwender im Umgang mit den SAP-Systemen unterstützen. Der auf Machine Learning basierende CoPilot erkennt sofort, in welcher Anwendung und welchem Kontext sich ein User befindet und denkt quasi mit, indem er auf Dinge aufmerksam macht oder Vorschläge bringt.
Publiziert am: 13. April 2018